Bunte, freie Welt der Kettenbrückengasse

24.06.2021

In vierter Generation führt Christina Taferner nun schon die Trafik ihrer Vorfahren. Optisch hat sich am denkmalgeschützten Otto-Wagner-Bau seit damals nichts, in der Umgebung viel verändert.

Christina Taferner ist im kleinen Geschäft nicht nur aufgewachsen, sie lebt auch heute – angesichts von Öffnungszeiten zwischen 5.00 und 19.00 Uhr – quasi in ihrer Trafik.

Den Naschmarkt kennt sie von klein auf. Unter den Jugendstilarkaden der ehemaligen Wiener Stadtbahn (jetzt U-Bahnlinie 4) des berühmten Architekten Otto Wagner in der Kettenbrückengasse, im 5. Wiener Gemeindebezirk, ist sie praktisch aufgewachsen: Christina Taferner. „Fast meine gesamte Kindheit habe ich hier verbracht. Da, wo jetzt der Cola-Automat steht, saß ich meistens nach der Schule. Dann habe ich meine Aufgabe gemacht und dazu mit Vorliebe Weintrauben gegessen“, erinnert sich die jetzige Inhaberin der kleinen Trafik schmunzelnd. Die Schüssel stand auf einem Tischchen, täglich mit frisch gewaschenen Früchten beladen. 

Mutter Gabriela hatte sie am Vormittag bei einem der Bauern am Naschmarkt gekauft und für die Tochter liebevoll hergerichtet. „Es war alles sehr gemütlich, ohne Hektik. Jeder kannte jeden. Gekauft wurde in der Umgebung früher eben nur auf dem Naschmarkt. Und in der tollen Bäckerei Bublik am gegenüberliegenden Hauseck, die es jetzt nicht mehr gibt. Auch im Winter waren die StandlerInnen da, so wie heute. Viele hatten hier die gleiche Angewohnheit wie wir. Sie gingen einkaufen und vorher oder nachher zu uns in die Trafik die Zeitungen und Zigaretten holen.“

Bobos

Für Christina Taferner sind mittlerweile die Zeitintervalle, in denen die Passagiere nach oder vor der U-Bahn-Fahrt in die Trafik kommen, wichtiger geworden. „Die Trafik ist ja nicht sehr groß. Das heißt, da muss jeder Handgriff sitzen, damit gleich der/die Nächste von der Straße her zu uns hereinkommen kann. Meine vier Mitarbeiterinnen und ich haben da mit den Jahren ein eigenes System entwickelt, nach dem das recht gut funktioniert.“ Manche nehmen sich gleich selbst die Zeitschriften von der Seitenwand und strecken das abgezählte Geld hin. 

Stammkunden habe sie auch noch einige, die sie aus ihrer Kindheit kennt, sagt Frau Taferner. Da wird’s dann immer persönlich und ein bissl länger. Die erkundigen sich nach ihrer Mutter, und auch andere Neuigkeiten werden ausgetauscht. In die gutbürgerliche Gegend ziehen immer mehr sogenannte Bobos (Großstadtbohemiens), die ihren eigenen Lebensstil pflegen. „Die schlendern gerne über den Naschmarkt und setzen sich in die Restaurants zum Essen. Die Zeitungen lassen sie sich allerdings nach Hause schicken, und rauchen ist bei ihnen auch nicht mehr so angesagt“, stellt die Trafikantin fest. Vor allem ist jeden Samstag direkt neben der Trafik Flohmarkttag. Jener an der Kettenbrückengasse ist noch dazu Wiens beliebtester und bekanntester. Auch bei den Touristen, wo viele davon im nahen Hostel wohnen. 

Traditionscafés

Da sind dann nicht nur die Restaurants knallvoll, sondern auch der Bauernmarkt hat bis mittags geöffnet: „In der schönen Jahreszeit zieht der Flohmarkt viele bunte Vögel an. Es drängt sich dicht an dicht. Das ist natürlich für uns regelmäßig ein toller Umsatztag! Da ist es dann schon gut, wenn Mama Gabriela am Tag zuvor einige Erledigungen wie Fahrscheine von den Wiener Linien abholen und anderes gemacht hat. Alles liegt griffbereit. „Meine Mutter arbeitet sonst nicht mehr in der Trafik. Sie hilft auch nicht mehr aus. Mit ihren engsten StammkundInnen ist sie über Facebook verbunden. Das macht ihr großen Spaß, auf diese Art immer am Laufenden zu bleiben. Manchmal treffen sie sich auch.“ Meistens in einem der umliegenden Kaffeehäuser.

Dass das berühmte Café Drechsler jetzt im Gespräch ist, geschlossen zu werden, bedrückt sie: „Es ist das Traditionskaffeehaus des Naschmarktes, für viele KünstlerInnen und FilmemacherInnen das Stammcafé. Der Betreiber möchte daher auch die Nacht über offen halten, was aber bisher nicht möglich ist. Das ist mir unverständlich. Ja, dann ist eben wieder eines weniger.“

Familienbetrieb

Christine Taferner sperrt ihre Trafik schon um 5.00 Uhr morgens auf. Geschlossen wird um 19.00 Uhr. „Natürlich ist das mit Kindern nicht leicht, aber der Umstand ist eben nicht zu ändern“, sinniert die Trafikantin. „Meine Kinder sind eben echte Trafikantenkinder: selbstständig!“, lacht sie. Frau Taferner hat das Geschäft vor zwei Jahren von ihrer Mutter übernommen. Ihre Kinder waren damals schon 8 und 13 Jahre alt. „Ich richte ihnen in der Früh alles her, und sie müssen es dann nur noch aufwärmen. Mein Mann ist Lehrer und daher auch schon sehr früh unterwegs. Aber Dominik und Lara kommen damit gut zurecht.“

Es war für Christina klar, dass sie einmal die Trafik übernehmen würde. Sie stellt nun schon die vierte Generation an TrafikantInnen: „Mein Urgroßvater hatte eine Gehbehinderung, dann übernahmen meine Großmutter, meine Mutter und jetzt ich.“ Ob eines ihrer Kinder die Nachfolge antreten würde, daran denkt sie jetzt nicht. Schließlich sind sie noch mit anderem beschäftigt und im aktuellen Alter von 10 und 15 Jahren. „Wenn, dann eher mein Sohn. Meiner Tochter sind manche Personen, die doch zeitweise die U-Bahnstation frequentieren, zu unheimlich, wobei ich bisher keine negativen Erfahrungen mit ihnen gemacht habe. Meine Mutter seinerzeit leider schon: Ein Betrunkener lungerte bei ihr in der kleinen Trafik herum. Sie bat ihn, diese zu verlassen und schloss hinter ihm die Tür, worauf er mit der Faust die Glasscheibe zertrümmerte und meine Mutter Glassand ins Gesicht und in die Augen bekam. Sie musste ins Krankenhaus. Ein anderer wiederum hat einmal meinen Vater gebissen. Aber das war’s auch. Ich bin froh, dass es den Taxistand direkt vor unserer Tür gibt und glaube, dass er uns ein bisschen schützt.“

Freundschaften

Die Kinder Taferner beschäftigen sich derzeit viel lieber mit ihrer Clique. Die Kinder kennen einander seit der Kindergartenzeit. Damals schon steckte Sohn Dominik ständig mit zwei Mädchen beisammen. „Schließlich haben sich die Elternpaare auch noch gut verstanden, und wir haben angefangen, an einem Sonntag im Monat miteinander Ausflüge zu machen. Das tun wir heute noch. Meistens gehen wir wandern. Die größere Tochter bleibt da zu Hause und geht lieber reiten. Aber in den Urlauben fährt sie mit. Nächstes Jahr geht’s für die beiden Familien gemeinsam zum Wandern auf die spanische Insel La Gomera.“ 

Für heuer hat sich die Familie aber etwas ganz anderes vorgenommen: ­Urlaub nur zu viert in Kroatien. Die Kinder haben das entschieden: Es wird ein reiner Badeurlaub werden, nur mit Schwimmen! Wandern gibt es dann erst wieder im Herbst.

Original erschienen 2018

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