TPD2-Handstreich der EU-Kommission?

Gesetz
08.07.2022

 
Eigentlich erfordert der europäische Gesetzgebungsprozess Zeit und viel Hin und Her zwischen Kommission und Parlament. Bei Tabakprodukten will die Kommission nun das Verfahren - ziemlich undemokratisch - abkürzen.
Das Rauchverbots-Schild passt nicht ganz zufällig so gut zwischen die Sterne der EU-Flagge: Die Verschärfung der ohnehin schon strikten Tabak- und Raucherregulierung ist ein offensichtliches Kernthema der EU.

Hinter den Kulissen der EU bahnt sich die nächste für die Tabakbranche relevante Entwicklung an: Die TPD2 wurde zu Zeiten erarbeitet, als es Tabak zum Erhitzen (sowie auch Nikotinpouches) noch nicht gab – sie sind also nicht in der Tabakprodukte-Richtlinie geregelt. Nun möchte die Europäische Kommission weitgehende Veränderungen der Richtlinie vornehmen.

Unser Mann in Brüssel

Der NÖ Landesgremialobmann und CEDT-Präsident Peter Schweinschwaller sieht Verschärfungen von EU-Seite im undemokratischen Schnellverfahren auf uns zukommen.

Am 4. Februar dieses Jahres gelang es Peter Schweinschwaller als Präsident der Europäischen Trafikantenvereinigung CEDT, einen Termin bei der zuständigen Generaldirektion für Gesundheit und Lebensmitteln, der DG Santé, zu bekommen. Im Rahmen dieser Telekonferenz wies Schweinschwaller auf die Auswirkungen der geplanten Änderungen auf das letzte Glied der Vertriebskette hin – auf die Trafikanten. Doch mehr dazu später.

Warum so eilig?

Tabak zum Erhitzen, namentlich Iqos, hat in den vergangenen Jahren zu einer Veränderung der europäischen Raucherlandschaft geführt. Mit eigenem Zahlenmaterial unterstreicht die EU-Kommission die Notwendigkeit einer Regelung dieser noch jungen Produkte.

Weil nach diesen Zahlen „das Verkaufsvolumen dieser Kategorie in mindestens fünf Mitgliedsländern um mindestens 10 Prozent angewachsen ist und mittlerweile die 2,5-Prozent-Marke aller in der EU verkauften Tabakprodukte überschreitet“ (= Voraussetzung für den Einsatz von delegierten Rechtsakten) will man die TPD2 per „delegiertem Rechtsakt“ um die Produktkategorie der „Heated Tobacco Products“ ergänzen. Bei dieser Gelegenheit sollten die Produkte auch gleich dem für Zigaretten und Drehtabak geltenden Verbot charakteristischer Aromen sowie der verpflichtenden Abbildung von Text- und Bildwarnhinweisen unterworfen werden.

Was ist ein delegierter Rechtsakt?

Durch die Artikel 7 Abs. 12 und Artikel 11 Abs. 1 der TPD2 wird der Kommission die Befugnis übertragen, unter bestimmten Voraussetzungen (siehe oben) Rechtsakte für „eine bestimmte Erzeugniskategorie“ zu erlassen. Damit sind üblicherweise kleine Veränderungen, Präzisierungen und kurze Zusätze gemeint.

Damit wird das zeitraubende Verfahren im EU-Parlament vermieden, Änderungen oder Ergänzungen können also rascher und unbürokratischer durchgeführt werden.

Zahlreicher Widerstand

Aus dem EU-Parlament sowie aus vielen Mitgliedsländern der EU wird allerdings bestritten, dass sich die Kommission bei derart weitreichenden Veränderungen überhaupt des delegierten Rechtsaktes bedienen dürfe:

  • Bei der „Neuanlage“ von Tabak zum Erhitzen handelt es sich nicht um Ergänzungen zu einer bestehenden Produktkategorie, sondern um die Definition einer neuen Kategorie. Und diese sei dem normalen Gesetzgebungsverfahren vorbehalten, wie selbst mehrere Mitglieder der Expertengruppe Tabak der Kommission mitteilten. Die EU-Kommission zieht aber offenbar den Schluss, aus der Notwendigkeit einer Definition für Tabak zum Erhitzen auch gleich die Berechtigung der Definition per delegiertem Rechtsakt ableiten zu können. Was wiederum nicht den allgemeinen Regeln von EU-Gesetzgebungsverfahren entspricht.
  • Im Entwurf der EU-Kommission wird Tabak zum Erhitzen als Rauchtabakprodukt nach Artikel 11 der TPD2 kategorisiert. Dies ist insofern problematisch, als 1. die Einstufung von Produkten nach Artikel 19 Abs. 4 der TPD2 den Mitgliedsstaaten vorbehalten ist und 2. diese Produkte in den nationalen Gesetzgebungen teils als rauchlose Tabakprodukte (nicht vom delegierten Rechtsakt erfasst), teils als (dann dem delegierten Rechtsakt unterliegende) Rauchtabakprodukte eingestuft wurden. Eine die Richtlinie ergänzende Kategoriedefinition per delegiertem Rechtsakt würde also nicht „die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten angleichen“, sondern für Chaos, Handelshemmnisse und damit Verstöße gegen den Binnenmarkt sorgen.

Wie geht es weiter?

Bis zum Juli 2022 muss die Kommission nun ihren Vorschlag an das EU-Parlament abliefern. Dieses muss innerhalb von zwei Monaten antworten (September 22); bei Rückfragen aus dem Parlament kann diese Frist verdoppelt werden (November 22). Mit der Veröffentlichung im Journal officiel in Brüssel tritt die Richtlinie in ihrer veränderten Form in Kraft. Den Mitgliedsländern bleiben dann sechs Monate zur Novellierung ihrer nationalen Gesetze (März bzw. Mai 2023).

Und da stellt sich dann die Frage nach Übergangsfristen – sowohl für die Industrie, als auch für den Handel. Dies war auch das Hauptthema von Peter Schweinschwallers Termin mit der DG Santé: Sonst stehen Trafiken mit gut sortiertem Lager vor dem Problem, plötzlich „illegal“ gewordene Ware entweder entsorgen zu müssen oder hoffentlich an den Großhändler zurückgeben zu können. Eine zweistufige Übergangsphase mit ausreichenden Fristen für das Inverkehrbringen und später für den Verkauf an Endkunden wie bei den Zigaretten wäre der einzig sinnvolle Weg.

Die Gesundheitsdirektion meinte dazu, die Mitgliedsländer auf die Notwendigkeit der ausreichenden Übergangsfristen hinzuweisen. Und regte ihrerseits an, die Trafikanten davor zu warnen, sich kurz vor Ende der für den Großhandel geltenden Abverkaufsfrist ihre Lager vollräumen zu lassen.

Der aktuelle Letztstand des laufenden Verfahrens könnte auch dazu schon Regeln oder Empfehlungen enthalten – leider ist das Mai-Treffen der Expertengruppe Tabak, die von den Mitgliedsländern fast ausschließlich mit Vertretern des Gesundheitsbereichs (Dr. Pietsch) beschickt wird, derzeit noch nicht nachzulesen. Hinsichtlich der Fristen ist jedoch mit kürzeren Übergangszeiten als im Falle der Zigaretten zu rechnen.

Welche Folgen sind möglich?

Drückt die EU-Kommission ihre Kategoriedefinition per delegiertem Rechtsakt durch, so sind zwei Szenarien denkbar.

  1. Die so ergänzte Richtlinie wird von allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt.
  2. Einige EU-Länder implementieren die Änderung der Richtlinie, andere nicht. Zur letzteren Gruppe könnten jene Staaten gehören, die ihrerseits Tabak zum Erhitzen bereits gesetzlich als „rauchloses Tabakprodukt“ definiert haben.

Geht die TPD2-Erweiterung um Tabak zum Erhitzen aber durch, so ist dies mit weitreichenden Änderungen verbunden – die bisher kleinen Packungen würden plötzlich mit Schockbildern und –texten überfrachtet, worauf sich auch die Industrie erst technisch einstellen müsste. Gleichzeitig würden zahlreiche Sorten mit charakteristischen Aromen vom Markt verschwinden müssen.

Nicht zuletzt würde auch ein Präzedenzfall geschaffen – eine spätere Inklusion der Nikotinpouches in die TPD2 nach demselben Muster wäre wohl nur noch eine Frage der Zeit.