Freude an der Arbeit mit und für Menschen

Trafikanten
24.06.2021

 
Ein unentdeckter Bindegewebedefekt machte Tanja Kopp ihr ursprüngliches Arbeitsleben schwer. Mit der später diagnostizierten 50-prozentigen Einschränkung wagte sie mit einer Trafik den Neuanfang.
Zeit, um die Nase ein wenig auf die Gasse hinauszustrecken, bleibt Tanja Kopp selten genug. Doch wenn es am Nachmittag einmal etwas ruhiger ist, nutzt die Trafikantin gerne die Zeit, um frische Luft zu schnappen und ein paar Worte mit den Geschäftsnachbarn zu wechseln.

Es ist selten, dass man Tanja Kopp lässig im Türrahmen ihres Geschäfts stehen sieht. Zeit hat die Trafikantin dazu nur wenig. Denn sie steht täglich von 6.00 bis 18.00 Uhr und auch samstags bis zu Mittag in ihrer Trafik in der Gudrunstraße 102 im 10. Wiener Gemeindebezirk: „Am Vormittag ist das für mich sowieso nicht möglich, weil ich da am meisten zu tun habe. Aber am Nachmittag kann es dann schon einmal für zehn Minuten ruhiger werden. Dazwischen habe ich zwei Stunden Mittagspause. Danach freut es mich zu schauen, was auch auf der Straße los ist.“

Es ist eine befahrene Hauptstraße mit vielen Geschäften. Tanja Kopp ist darüber froh: „Es ist eine belebte Meile, wo sich erfreulicherweise alle Geschäftsleute gut verstehen. Neben mir ist ein Döner-Imbiss, wo viele Kundinnen und Kunden auch zu mir hereinkommen, und vorne am Eck’ hat eine Bäckerei aufgemacht. Die ist so beliebt, dass oft eine ganze Schlange davor wartet.“ 

Neuausrichtung

Dabei hatte es vor ein paar Jahren gar nicht so gut für Frau Kopp ausgesehen: „Vor der Bäckerei hatten wir eine Putzerei und neben mir war ein Kaffeehaus, die beide schließen mussten. Es gab einfach zu wenige Interessierte. Daher waren auch kaum Leute auf der Straße. 2009 rief dieser Umstand leider einen Räuber auf den Plan. Und da ging alles blitzschnell: Er kam mit einer Pistole in die Trafik, forderte Geld, nahm es und floh. Er verlangte, dass ich mich umdrehte, damit ich ihn nicht sehen konnte, wie er sich die Gesichtsmaske he­runternahm. Dann ist er raus. Gefunden hat man ihn bis heute nicht.“

Angst hatte und hat Frau Kopp keine: „Wissen Sie, er sprach schnell und wollte nur Geld. Ich tippe daher auf einen Spielsüchtigen. Drogenabhängige vom Therapiezentrum weiter vorne konnten es nicht gewesen sein, denn die reden alle so langsam, das kenne ich. Das Konzept des Räubers war sehr klar: schneller Überfall, schnelles Geld.“

Viele ihrer Stammkunden waren danach besorgt. „Ohne mir etwas zu sagen, machten sich offensichtlich einige aus, vor meiner Trafik zu patrouillieren. Sie lehnten auffällig herum oder gingen den Gehsteig auf und ab, damit der Räuber nicht wieder kommt.“ 
Auch die Verantwortlichen des gegenüberliegenden türkischen Kulturzentrums boten Hilfe an: Sie stellten ihre Videoaufzeichnungen zur Verfügung. Doch leider erkannte die Polizei nichts. Trotzdem versuchte die Exekutive, menschlich zu unterstützen: „Ein halbes Jahr später rief ein Polizist bei mir an und fragte, ob ich Hilfe vom Weißen Ring bräuchte. Aber ich hatte das gut weggesteckt, und inzwischen rate ich niemandem, bei mir nochmals einen Überfall zu versuchen. Ich bin ziemlich gut gerüstet. Noch dazu hat mein türkischer Nachbar jetzt auch Straßenverkauf und ist daher schnell bei mir.“

Rauchgenuss

Tanja Kopp lebt von überwiegend 70 Prozent Stammkundinnen und -kunden. Von sehr vielen kennt sie die Vorliebe. Für einen älteren Mann hat sie bereits eine Tragetasche vorbereitet mit drei Stangen Memphis und der serbischen Tageszeitung Vest. „Er kommt seit vielen Jahren jeden Freitag bei mir vorbei und holt sich für die ganze Woche Zigaretten für sich und seine Frau ab.“

Auch für die ganz Kleinen hat Frau Kopp einiges vorbereitet. Ein liberaler türkischer Papa betritt mit seiner Dreijährigen langsam die Trafik. Sie trägt Feuerwehruniform von Kopf bis Fuß und freut sich bereits auf die Süßigkeiten. Die Kleine kennt sich gut aus und greift herzhaft in die Boxen. Der Papa lacht, kauft Zigaretten und bezahlt alles, was seine Kleine mitnehmen möchte. Für Frau Kopp ist das normal: „Viele Türken kaufen bei mir ein. Sie nehmen mit Vorliebe Marlboro oder auch Davidoff, also eher die teureren Marken. Rauchen ist meinen türkischen Kunden eindeutig etwas wert. Das holen sie bei mir, während sie ihre Zeitungen offenbar im Kulturzentrum kaufen oder lesen“, beobachtet die Trafikantin. 

Menschliche Enttäuschung

Auch eine junge Serbin gehört zur Stammkundschaft. Sie kommt zusätzlich zu Tanja Kopp, wenn sie Fragen zu Ämtern hat. Aber jetzt ist zu viel los. Die Trafikantin vertröstete die junge Frau auf den Nachmittag. So etwas hätte ihre einstige Mitarbeiterin nie und nimmer gemacht, sagt sie. Frau Kopp empfindet es als selbstverständlich, ihren Kundinnen und Kunden auch mit Informationen behilflich zu sein, wenn diese zu ihr kommen. Das hatte sie ursprünglich auch von ihrer Mitarbeiterin angenommen. Sie hatte sie nie kon­trolliert, wunderte sich aber stets über den schlechten Umsatz, der an den Tagen zu Buche schlug, an denen sie nicht selbst im Geschäft stand. Ihr Ehemann Manfred sprach die Vermutung als Erster aus, dass da möglicherweise etwas nicht stimmt: „Ich stand dann beim Automaten und schlichtete Zigaretten ein, als ein Kunde vorbeikam und sagte: „Gott sei Dank, dass Du heute wieder da bist. Zu Deiner Mitarbeiterin will man ja gar nicht mehr hineingehen!“ Ich fragte nach und erfuhr auch von anderen, dass sie jeden, der das Geschäft betrat, irgendwie autoritär maßregelte. Sie war sogar beleidigend, was sich mit einem Kunden bis zur Handgreiflichkeit aufschaukelte und der an Ort und Stelle die Polizei rief. Von anderem möchte ich erst gar nicht reden. Da war’s für sie dann zu Ende.“

Seither steht Frau Kopp den ganzen Tag alleine im Geschäft. Nach dieser Enttäuschung will sie es nicht noch einmal mit jemandem versuchen. Wenn die Trafikantin krank wird, vertritt sie ein Familienmitglied. Doch derzeit wäre es nicht so günstig, da ihre Schwiegertochter im Mutterschutz und ihre Tochter India (23 Jahre) derzeit ziemlich beschäftigt ist. 

Familienglück

Als Begleiter darf manchmal Hund Chiara, eine Terrier-Schäfer-Mischung, in die Trafik mitkommen. „Sie bleibt dann bei mir hinter dem kniehohen Türl, das mein Mann extra für sie gebastelt hat. Denn Chiara ist ja so eifersüchtig auf andere Hunde und will ihnen immer die Leckerlis wegnehmen, die ich ihnen gebe“, lacht die Trafikantin und Hundemama. Chiara kam, nachdem ihre Kinder ­außer Haus waren und ist der Familienliebling. Das wird sich aber bald ändern, denn Sohn Marvin (27 Jahre) wird sie demnächst erstmals zur Oma machen. Familie Kopp ist schon ganz aufgeregt. Jeden Sonntag kocht Tanja Kopp groß für ihre Familie auf. Und das seit Jahren. Es ist zugleich ihr Hobby, das auch andere freut: „Es kommen oft über 15 meiner Lieben. Die bringe ich alle in meinem Wohnzimmer unter. Unsere Kettl-Tant’ hat das früher auch so gemacht. Diese Familien­tradition führe ich fort.“ Da drängt sich nur mehr das Sprichwort auf: „Auch in der kleinsten Hütte ist Platz für viele Freunde“.

Original erschienen 2017