Kleine, große Welt

Trafikanten
25.06.2021

 
Wie der letzte Mohikaner steht der kleine Trafikkiosk von Ing. Ludwig Herzog vor der U1-Station Kaisermühlen/Vienna International Center, umgeben von der Skyline Wiens.

Am Platz der Vereinten Nationen im 22. Wiener Gemeindebezirk herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Die einen eilen zur Arbeit ins UNO-Gebäude, die anderen wohnen in Kaisermühlen mit seinen Wolkenkratzern. Im Sommer steigen viele in den Bus um, der ins Schwimmparadies Lobau oder zur Neuen Donau führt. „Viele von ihnen kenne ich seit Jahrzehnten“, freut sich Trafikant Ing. Ludwig Herzog über die Treue mancher KundInnen. „Die fragen dann, wie bei uns der Winter war und was wir inzwischen gemacht haben. Ich wundere mich immer wieder, woran sich manche aus dem Vorjahr noch erinnern können.“

Dazwischen gibt es die Laufkundschaft, die hier umsteigt und sich mit Lesestoff und Zigaretten versorgt. „Wir sind aber auch das reinste Auskunftsbüro. Wir informieren gerne, und manchmal gehen sogar eine Zeitung oder ein Packerl Zigaretten mit“, so der Trafikant.

Herausforderung

Bei detaillierten Informationen unterstützen Ludwig Herzog meist seine Mitarbeiterinnen. Denn der Trafikant ist von Geburt an schwer gehörbeeinträchtigt, was man im direkten Gespräch mit ihm kaum merkt: „Ich bin in eine normale Schule gegangen, denn eigene Förderung für Kinder mit eingeschränktem Hörvermögen gab es in den 60ern noch nicht.“ So machte Ludwig vorerst eine Lehre als Landmaschinentechniker. Erst später holte er die HTL-Matura nach und arbeitete in einer Stahlbaufirma. Während der ersten Unruhen im Irak in den 1980er Jahren verlor die Firma Aufträge und musste die Hälfte der Belegschaft kündigen. Ein Freund riet Ludwig Herzog, auf Trafikant umzusattelten. Seither ist er das aus Leidenschaft: „Er ist ein Chef, der sich wirklich um alles kümmert und einen nie im Stich lässt“, erzählt Mitarbeiterin Anna Sajdak, die fast von Anbeginn vor 30 Jahren in der Trafik arbeitet. Frau Sajdak ist die einzige Vollzeitkraft in der Trafik – zusätzlich gibt es noch fünf Teilzeitkräfte mit je 30 Stunden. „Das ist notwendig, denn wir öffnen bereits um 5.30 Uhr und haben über Mittag geöffnet.“

Internationales

Platz hat man in der 36 m² Trafik wenig: „Dabei haben wir uns mit den Jahren stark vergrößert“, sagt Ing. Herzog. „Angefangen habe ich 1983 mit 8 m² Fensterverkauf. 1987 steigerten wir uns auf 15 m², und als der Würstelstand-Nachbar in Pension ging, nahm ich dessen Kiosk dazu. Jetzt haben wir auch Nebenräume wie Küche, WC und Waschraum.“

„Die Umsätze setzten sich damals aus 50 % Zigaretten- und Zeitungsverkauf sowie 50 % Fahrscheinverkauf zusammen. Heute ist das Sortiment so umfangreich, dass man nur noch eine Auswahl anbieten kann“, erinnert sich Trafikant Herzog. Dabei fällt auf, dass er besonders viele Zeitungen führt, und auch das Sortiment an Wochenmagazinen kann sich sehen lassen: „Vor allem im Sommer gehen die gut, weil die Leute sie ins Bad mitnehmen. Am Weg ins Gänsehäufel wollen sie in den Öffis schon zu lesen beginnen.“

Workaholic

Geht auch Trafikant Herzog einmal schwimmen? Frau Sajdak lacht: „Das werden sie nicht erleben. Die Trafik ist sein Leben geworden.“ Herr Herzog bestätigt, dass er seit 33 Jahren keinen Urlaub gemacht hat: „Wenn ich einmal wegfahre, dann ist das höchstens ein Tagesausflug nach Niederösterreich oder in die Steiermark. Hügelig muss es auf jeden Fall sein. Aber ich möchte immer etwas zu tun haben, und es zieht mich dann gleich wieder in die Trafik.“ Nur zu Weihnachten und zu Neujahr bleibt der Kiosk geschlossen.
Auch wenn Ing. Ludwig Herzog viele Hürden bisher in seinem Leben gemeistert hat, eines will und will ihm nicht gelingen: „Ich bemühe mich bereits seit 20 Jahren, die Adresse meiner Trafik in der Google-Suchmaschine ändern zu lassen, die falsch mit ‚U-Bahnstation Alte Donau‘ drin steht. Ich habe schon Briefe geschrieben, Anrufe getätigt, bei der Monopolverwaltung interveniert, es hilft alles nichts. Ich bin ratlos geworden. Die Lieferanten haben die größten Probleme, uns zu finden. Aber vielleicht gibt es doch noch ein Wunder!“ 

Erstmalig veröffentlicht im Sommer 2016