Powerfrauen als Dreamteam

Trafikanten
21.06.2021

 
Dass Sevcan Özdemir trotz Lungenerkrankung einmal eine Trafik führen würde, hätte sie sich nicht träumen ­lassen. Inzwischen ist sie Top-Expertin für Rauchwaren.
Wer vom Gürtel kommend die Kliebergasse stadteinwärts spaziert, kommt automatisch am Tabakfachgeschäft von Sevcan Özdemir vorbei. Selbst wenn geschlossen ist, sorgen die ­Automaten mit ihrer breiten Auswahl für die Befriedigung der Kundenbedürfnisse – mehr als die drei montierten Geräte wären sich aber wirklich nicht mehr ausgegangen ...

Dass Sevcan Özdemir einmal Trafikantin werden würde, dachte sie sich keineswegs, als sie noch im Kundenservice bei A1 arbeitete. Doch gesundheitliche Probleme und ärztliches Zureden überzeugten sie schließlich, sich nach einem neuen Betätigungsfeld umzusehen: „Das war vorerst gar nicht so leicht. Immerhin leide ich seit meinem ersten Lebensjahr an einer Lungenkrankheit. Ich selbst bin daher Nichtraucherin.“ Doch in der Familie Özdemir rauchen viele, weshalb die Überlegung, eine Trafik zu übernehmen, konkreter wurde. Denn seit Kindheitstagen kennt sie sich gut damit aus.

Auf der Homepage der WKO studierte Sevcan Özdemir schließlich mögliche Übernahmen. Zwei klappten nicht, aber die dritte im 5. Wiener Gemeindebezirk, Kliebergasse 7, dann schon. „Mein Vorbesitzer war ein alter Herr, der auf alles Digitale keinen Wert legte. Er machte nur das Notwendigste, konnte mir daher nichts erklären. Jetzt hatte ich selbst auch keine Ahnung. Bei der Ausbildung zur Trafikantin hatte ich Kolleginnen und Kollegen, deren Eltern bereits Geschäfte besaßen. Ich bekam also bloß mit, dass alles so kompliziert sei und termingenau abgebucht werden müsste, da es sonst Strafen setzte. Also, ehrlich gesagt: Meine Gruppe war wenig ermutigend für mich.“

Zusammenhalt

Doch Familie Özdemir wäre nicht Familie Özdemir, wenn sie einander nicht tatkräftig unterstützt hätten: „Bruder, Cousine, Schwager und ich setzten uns hin und studierten gemeinsam im Internet, was zu tun sei. Das war anfangs wirklich nicht leicht, aber wir haben es geschafft.“

Mit einem Trafikantenkollegen nur einige Gassen weiter hatte Sevcan Özdemir eine sehr gute Gesprächsbasis. Er half mit Kassarollen aus, wenn die einmal vorzeitig ausgingen. Doch dessen Kassabetriebssystem unterschied sich leider grundlegend von ihrem, weshalb diesbezüglich keine Hilfe möglich war. Frau Özdemir hat daher eine Anregung: „Es wäre doch sinnvoll, wenn nicht alles so kompliziert wäre und man leicht von einem auf das andere System umsteigen könnte. Denn wenn Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter die Trafik wechseln, wird das unter Umständen für sie schwierig.“

Bei Familie Özdemir war das kein Problem. Cousine Canan war von Anfang an dabei. Kannte daher viele Abläufe – auch das komplizierte Buchungssystem. Die beiden jungen Frauen mit Anfang 30 führen seither die Trafik gemeinsam. Sevcan Özdemir bleibt aber Chefin. „Rolle spielt das zwischen uns aber keine. Wir teilen uns die Dienste auf und machen alles zusammen. Ich habe einen Halbtagsjob und erledige dafür in der übrigen Zeit vieles an Administration, was in einer Großfamilie so anfällt.“ Dazu gehören neben ihren Eltern auch Schwester Selen, die Volksschullehrerin ist und zwei kleine Kinder hat, Bruder Murat mit seiner zweijährigen Tochter sowie Schwägerin und Schwager.

Überraschung

Fragt man Sevcan Özdemir nach besonderen Vorkommnissen in der Trafik, fällt ihr sofort eine Begebenheit ein: „Kürzlich hörte ich ein permanentes Geräusch. Es war wie ein Ticken und Schmatzen. Zuerst dachte ich, es käme von der Straße. Doch dann war ich mir sicher, dass ich es aus dem hinteren Bereich meiner Trafik hörte. Und tatsächlich. Ich öffnete die Tür zum Lager, und ich traute meinen Augen kaum: Ein riesiger Betonberg wälzte sich aus dem Kaminschacht, und hatte schon fast den gesamten Raum gefüllt. Die Regale standen durcheinander. „Das Wohnhaus wird derzeit saniert, und ich informierte sofort die Bauleitung. Es stellte sich heraus, dass Arbeiter den falschen Schacht verwendet hatten.“ Doch Glück im Unglück! Der 
Beton war noch nicht fest, weshalb binnen eines halben Tags die Masse wieder fachgerecht entfernt werden konnte. 

Spannung

Sonst gab es in den fünf Jahren, die Frau Özdemir ihre Trafik führt keine nennenswerten Vorkommnisse. Bis auf eines, das sie schließlich immer noch ein wenig schmerzt: „Eine meiner Stammkundinnen, die regelmäßig vorbeikam und gerne mit mir plauderte, wollte noch Zigaretten mitnehmen. Ich bat sie, die Stange gleich selbst aus dem Vorratsschrank neben ihr im Kundenbereich zu nehmen. Daraufhin  schrie sie mich an, weshalb sie das selbst machen müsste. Ich sei doch die Verkäuferin, und sie könne sich selbst nicht bücken. Ich war völlig überrascht von ihrem Ausbruch, wusste das nicht und reichte sie ihr daraufhin selbstverständlich. Sie beschimpfte mich wüst weiter und sagte, dass sie sich wegen dieses Vorfalls an die Monopolverwaltung wenden werde.“ Sevcan Özdemir dachte zuerst, das sei ein übler Scherz und die Frau einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden. Doch einige Tage später rief tatsächlich jemand von der Monopolverwaltung an und erzählte ihr von einer Beschwerde: Die Frau hatte die Geschichte einfach umgedreht und schwärzte die Trafikantin als unflätig an. Sevcan Özdemir war geknickt. Wer die herzliche, kultivierte und besonnene Trafikantin kennengelernt hat, ist überzeugt, dass so etwas nicht stimmen kann. Noch dazu kam die Kundin kurze Zeit später wieder und tat so, als wäre nie etwas geschehen. „Erfreulicherweise hat die Monopolverwaltung auch Erfahrung mit offenbar psychisch belasteten Menschen und glaubte mir“, fügt sie hinzu.

Erholung

Freude und Lebenskraft tankt Sevcan ­Özdemir auch auf ihren Reisen in die Türkei. Ihre Familie besitzt immer noch ein Haus im Badeort Samsun am Schwarzen Meer. Ihr Großvater, der Ende der 1970er Jahre nach Österreich gekommen war und später seine Frau nachkommen ließ, lebt wieder dort. Sevcans Vater hingegen wurde bereits in Österreich geboren, wie sie selbst und auch ihre Geschwister. Dennoch: Lieber hält sich die 32-jährige ­Sevcan Özdemir im urbanen Izmir auf. Da gäbe es ebenso Meer, und das Wetter sei immer schön, nicht so tropisch-schwül wie in Samsun, meint sie und verweist auf ihre Lungenerkrankung. Österreich lernte sie vor allem jetzt während der Corona-Zeit besser kennen: „Da ich sonst mehr Städte­reisen unternehme, ist mir bisher noch nicht viel Zeit für die Regionen geblieben. Diesen Sommer verbrachte ich am Erlaufsee, später ging es zum Attersee, dann nach Salzburg und Hallstatt. Herrlich! Nur Tirol und Vorarlberg sind mir doch noch etwas weit weg von Wien.“ Wer weiß: Vielleicht klappt es beim nächsten Mal.

Erstmalig veröffentlicht 2020