Trafikvergnügen an der „Riviera der Donau“

Trafikanten
24.06.2021

 
In den 1920er Jahren nannte man das Strombad Kritzendorf im Jargon nur „Riviera der Wiener“. Trafikant Ludwig Ehrenstrasser übernahm vor sieben Jahren den Nachbau der alten Trafik und Greißlerei.  
Die Greißlerei mit Trafik ist der soziale Treffpunkt im Strandbad. Die Erwachsenen bekommen hier ihr Bier und die Leberkäse-Semmeln, die Kinder ihr Eis.

Ihre Nachbarn kennen viele hier schon lange. Und die Wienerinnen und Wiener, die in den Sommermonaten zuziehen: Mit ihnen hat man sich vor langer Zeit arrangiert. Kritzendorf ist seit fast 100 Jahren ein beliebter niederösterreichischer Sommerfrischeort nahe Wien. Ausgangspunkt war seinerzeit die Idee, für viele Bade- und Naturfans aus der Stadt ein Strombad an der Donau zu errichten: ein kleines Minimundus mit Nahverpflegung, Trafik und Gesellschaftsbereich für Getränke und kleine Snacks. Weil das wegen der regelmäßigen Überschwemmungen durch die Donau gar nicht so leicht war und auch heute noch ist, einigte man sich darauf, die Bade­häuser aus Holz auf Stelzen, sogenannten Piloten, zu errichten. „Die meisten Häuser stehen etwa auf 1,5 m hohen Pfählen. So hoch muss es auf jeden Fall sein. Trotzdem war die Überschwemmung im Jahr 2013 so gewaltig, dass das Wasser sogar in die Stelzenhäuser eindrang. Das war unglaublich!“, erinnert sich der Trafikant des Strombads Ludwig Ehrenstrasser: „Auch meine Trafik und meine Greißlerei standen unter Wasser. Was nicht verwundert, denn wir liegen im Rondeau des Strombads sowieso ebenerdig. Aber das war im Original schon so geplant gewesen, und Gott sei Dank hat die Versicherung den Schaden zur Gänze übernommen.“ 

Verjüngung

Viele Siedler hatten daher im Schicksalsjahr 2013 ihre Häuser verkauft. Dadurch gab es auch einen Generationswechsel. Ludwig Ehrenstrasser gefällt das: „Es ist durch die jungen Familien viel lebendiger geworden. Mir war’s vorher für ein Sommerbad viel zu ruhig. Jetzt lachen Kinder und was mich freut: Die Jungen gehen auch mehr bei mir einkaufen. Meiner Trafik ist eine Greißlerei angeschlossen, in der ich alles führe, was ein Nahversorger so hat. Und natürlich gibt’s für Zwischendurch auch Kaffee, kalte Getränke, Snacks und viel Eis.“ Das findet klarerweise besonders bei Kindern Beachtung. Ein lustiges Erlebnis fällt Herrn Ehrenstrasser da zum Thema Stadtkinder ein: Zwei Mädchen beobachteten einige Wespen um eine Wespenfalle im Schanigarten. „Daraufhin erklärte die eine der anderen: ‚Schau, die machen hier sogar den Honig selber!‘ Da musste ich mein Lachen wirklich sehr unterdrücken! Wir machen zwar vieles selbst, aber Bienen züchten wir hier keine.“ 

Die Preise kalkuliert Trafikant Ehren­strasser im mittleren Segment, wie er sagt. So, dass man an Regentagen auch gerne einmal ein bisschen mehr bei ihm einkauft als sonst, um nicht extra ins Dorf hineinfahren zu müssen. Viele wohnen den ganzen Sommer über hier. „Wegen jeder Kleinigkeit dann ins Auto zu steigen oder den weiten Weg zu Fuß nach vor zu gehen, da kommen sie lieber gleich zu uns und auf ein Tratscherl dazu.“ Das sei für alle okay, weiß er nach mittlerweile sieben Jahren als Geschäftsmann. Damals hatte Ludwig Ehren­strasser von seiner ehemaligen Chefin Trafik und ­Bäckerei zur Pacht übernommen. „In ihrer Bäckerei in Höflein stehe ich seither nicht mehr. Das ginge sich ja von der Zeit her und von dem Aufwand, den wir hier im Sommer haben, gar nicht aus. Aber sie freut sich, dass das hier weitergeht, und es macht auch mir ehrlich Spaß.“

Zusammenhalt

Spaß, hier zu sein, hat es ihm immer gemacht. Schon als Bub. Obwohl es damals nicht wie heute einen Schlauchboot­verleih und andere Freizeitaktivitäten angeboten gab. „Ich war mit meinen Freunden oft da, und wir waren dann im etwa 100 Meter entfernten ‚Donaurestaurant‘ Tischfußball spielen. Das war eine Hetz!“, freut er sich noch heute darüber. „Das Restaurant wurde übrigens jetzt neu übernommen und hat bis 23.00 Uhr geöffnet. Die machen viele Feste.“ Er selbst könnte zwar auch bis 22:00 Uhr offen lassen, doch das will Ludwig ­Ehrenstrasser nicht: „Wir schließen viel früher, um 19:00 Uhr, weil Leute am Platz um uns herum in kleinen Appartements wohnen. Da würde der laute Gesprächs­pegel der Gäste die Anrainer auf Dauer stören. Das machen wir nicht. Außerdem wollen wir irgendwann auch einmal nach Hause gehen dürfen. Wir fangen nämlich schon um 7:00 Uhr an“, so der Trafikant.

Der „Buri“ und er schupfen den Laden gemeinsam. „Akdag Burhan heißt der ‚Buri‘ eigentlich mit vollem Namen und ist schon viele Jahre bei mir. Er ist Vollzeit beschäftigt und meist superlustig drauf. Nur wenn jemand glaubt, er sei Türke, dann wird er böse. Er ist nämlich Kurde.“ Im selben Moment schaut „Buri“ aus der Durchreiche der Greißlerei zu einer Gruppe Männern in Sportdressen, die beim Kaffee sitzen. Einer von ihnen bestellt ein Packerl Marlboro. „Die haben wir in letzter Zeit nicht so viel verkauft, seit sie so teuer sind. Jetzt wird’s langsam wieder besser. Die blauen Chersterfield sind bei uns der Renner.“ Der Mann hat sich mittlerweile seine Marlboro von der Theke geholt. Er öffnet die Packung und spendiert eine davon einem Zeitung lesenden Mann.

Morgenritual

„Das ist übrigens auch etwas, was wir anbieten: Einige Anrainer lassen sich im Sommer ihr Zeitungsabo zu uns in die Trafik verlegen. In der Früh holen sie sich die Morgenzeitung zusammen mit frischen Semmeln ab. Das hat sich sehr bewährt. Einige bleiben gleich zum Frühstück bei uns sitzen und lesen.“

Ehefrau Birgit steht manchmal neben der geringfügig beschäftigten Frau Katzinger auch im Geschäft. Sonst ist ihre Aufgabe die Buchhaltung von Trafik und Greißlerei. „Geflucht haben wir alle letztes Jahr über die neue Registrierkassa und das Programm dazu. 4000,– Euro hat das Zeug gekostet! Wahnsinn! Und vom Land haben wir nur 200,– Euro als Unterstützung bekommen“, ärgert sich der Trafikant noch heute. „Aber was sollen wir machen?“, resigniert er.

Wenn Ludwig Ehrenstrasser dann manchmal die Ereignisse über den Kopf zu wachsen drohen oder er eben nur einfach zur Ruhe kommen möchte, holt er seine Angelausrüstung hervor und schleicht sich unbemerkt aus der Trafik. „Meine Frau ist zwar dann vorübergehend sauer auf mich, weil es ein ziemlich zeitintensives Hobby ist. Es kann schon vorkommen, dass ich fünf Stunden weg bin.“ Seit er 13 Jahre alt war, begeistert ihn der Angelsport. Er liebt die Natur und kennt jeden Baum der Umgebung. Sohn Kevin (drei Jahre) und Tochter Melanie (neun Jahre) begleiten ihn manchmal. Darüber freut er sich, denn die Liebe zur Natur lernt man nur von Kindheit an.

Original erschienen 2017