Vom Bahnhofskiosk in die weite Welt

Trafikanten
24.06.2021

 
Die Trafik in Strasshof an der Nordbahn wurde Helmut Fröschl bereits 1954 im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt. Vater Hubert eröffnete sie in seinem Geburtsjahr. 32 Jahre später übernahm er sie.
Seit dem großen Neubau 1986 bietet das Geschäftslokal deutlich mehr Platz. Trafikant Fröschl beschränkt sein Sortiment dennoch freiwillig auf die „Trafikklassiker“ Tabak, Lotto, Raucherbedarfsartikel und Geschenkpapier. Die wachsende Einwohnerzahl von Strasshof ist natürlich kein Schaden ...

Viele kennen den Trafik-Kiosk beim Bahnhof von Kindheit an, auch wenn er seine Form 1986 komplett verändert hat: „Damals habe ich den Kiosk von meiner Mutter Erna, die ihn 13 Jahre lang bis zu ihrer Pension geführt hatte, übernommen. Er stammte aus der Mitte der 1950er Jahre. Für mich war schon vorher klar, dass ich völlig neu starten würde“, erzählt Sohn Helmut Fröschl. 

„In den Anfängen hatten meine Eltern noch Kurzwaren wie Spagate, Kämme, Büroartikel und Papier verkauft. Das gibt es bei uns jetzt alles nicht mehr. Wir führen neben Zigaretten und Zeitschriften nur die Klassiker einer Trafik: Feuerzeug, Kugelschreiber, Billets, Geschenkpapier, aber auch Geldbörserl und natürlich Lotto. Und als zusätzlichen Service gibt es bei uns Fahrscheine für die Wiener City. Aber: Die kauft bei uns sowieso keiner.“
Doch sonst läuft das Geschäft sehr gut. „Seit meinem Umbau in den 1980ern hat sich die Bevölkerungszahl von Strasshof um 25 Prozent erhöht. Es ziehen also immer mehr Menschen an den Stadtrand.“
Da macht es offenbar auch nichts aus, dass die nächste Trafik nur zwei Gassen entfernt liegt: „Wir haben ein gutes Einverständnis. Keiner nimmt dem anderen Kundschaft weg. Bei allen geht’s gut.“

Schicksale

Das hat sicher auch damit zu tun, dass ­Vater Hubert die Trafik bereits gut eingeführt hatte: „Er war ein Kriegsversehrter. Ihm fehlte der rechte Arm. Er trug eine Prothese und konnte dadurch alles selbst machen. Helfen ließ er sich nie. Sein Neuanfang 1954 gelang ihm vielleicht auch deshalb so gut, weil das zugleich mein Geburtsjahr war“, lacht Helmut Fröschl. „Der Beruf des Trafikanten wurde mir also buchstäblich in die Wiege gelegt, obwohl es dann doch 32 Jahre lang gedauert hat, bis ich die Trafik offiziell übernommen habe.“ 
Und das leider auch noch doppelt berechtigt, weil er nach seinem Autounfall 1977 tatsächlich körperlich beeinträchtigt ist. Doch darüber möchte Herr Fröschl nicht reden. Keine Erinnerungen mehr. Nur soviel: Das Bücken ginge immer noch nicht gut, bemerkt er knapp.
Mit dem Fußballspielen hat er es daher gar nicht. Im Gegensatz zu seinem Vater: „Dessen Hobby und Leidenschaft war der örtliche Fußballverein SV Strasshof. Er plante vieles und war voll ins Vereins­leben integriert. Ich hingegen unterstütze den Verein finanziell, und dessen Präsident ist mein bester Freund.“ In ein paar Stunden würde er ihn wieder sehen, denn da gäbe es eine große Geburtstagsparty für den Trafikanten. Soviel wüsste er bereits, freut sich Helmut Fröschl. Organisieren würde das seine Frau, die nach zwei vorherigen Ehen seit mittlerweile 27 Jahren bis zum heutigen Tag für ihn die absolut richtige sei. 

Gemeinsamkeit

Mit keiner zuvor verband ihn so viel wie mit ihr. Auch auf den gemeinsamen Extrem-Abenteuerreisen hätte sich das gezeigt. Sie verstünden sich eben in allen Lebenslagen. Legendär wurde für den Trafikanten seine dreiwöchige Kanadareise, wo er mit einem Kanu 1000 Kilometer den Yukon entlang paddelte. Mit dabei waren seine damalige Noch-Freundin und ein Freund. „Man musste schon sehr auf die Stromschnellen aufpassen. Und Lebensmittelstation gab es auf dem Weg nur eine! Da musste man die Rationen schon ganz gut einteilen. Aber das Erlebnis war unvergleichlich!“ So unvergleichlich, dass er sie als Probe aufs Exempel wertete und seiner Freundin einen Heiratsantrag machte: „Und zwar so, wie sich das auch gehört, ganz förmlich, mit Hinknien und den Ring an den Finger stecken.“ Prompt verfehlte es seine Wirkung nicht. Helmut Fröschl blickt immer noch beseelt, wenn er davon spricht: „Sie ist einfach wunderbar!“, setzt er noch nach.

Extremreisen

Dabei hat sie es mit ihm in mancherlei Hinsicht gar nicht so leicht: „Ich bin nämlich ein Nordmensch. Ich mag es nicht heiß. Und da meine Frau Lehrerin ist, können wir nur im Sommer die großen Reisen machen. Und da waren wir schon mindestens zehnmal auf dem Nordkap. Einmal sind wir auch mit der Transibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking gefahren. In Ulaanbaatar, der Hauptstadt der Mongolei, hatten wir –48 °C! Das war dann schon ein bisschen extrem“, erinnert sich der Trafikant.

Beim Reisen liebt Helmut Fröschl das Abenteuer, weniger allerdings im Alltag seiner Trafik: „Wissen Sie, in Strasshof lebten viele Jahrzehnte lang überwiegend Eisenbahnerfamilien, denn es gab bis in die 1970er Jahre einen riesigen Verschubbahnhof. Nach 1945 siedelte man aber auch viele ehemalige Straftäter an. Da waren hier schon einige schwere Jungs zu Hause. Später wurde es allerdings ruhig, bis zum Verbrechen an Natascha Kampusch.“ Kurz darauf geriet Strasshof noch einmal mit einem Vierfachmörder, der nach einem Streit seine Familie ausgerottet hatte, groß in die Schlagzeilen. 
„Dagegen war dann der Raubüberfall auf meine Trafik und eine Woche vorher auf die meines Kollegen weiter hinten unbedeutend. Eine Drogensüchtige aus der Umgebung hatte meine Mitarbeiterin mit der Waffe bedroht und viel Geld erbeutet. Sie wurde gefasst, aber meine Mitarbeiterin wechselte in eine Trafik nach Wien.“ Trafikant Fröschl zündet sich zur Beruhigung gleich eine Zigarette an. 

Ausgleich

Er raucht sie elegant mit einem schwarzen Filterspitz. Doch die Optik ist für ihn dabei nur Nebensache. Wichtig ist ihm der gesundheitliche Aspekt: „Seitdem ich die Zigaretten auf diese Weise rauche, huste ich weniger. Weder Geschmack noch Intensität beim Rauchen leiden darunter. Für mich war das die beste Entscheidung“, genießt Helmut Fröschl einen vollen Zug.

Er raucht auch beim Fischen. Da entspannt er sich mit seiner Frau am meisten. Beide besitzen an der March eine ­Fischerhütte. Frau Fröschl angelt selbst und das ziemlich gut. „Irgendwie gibt es nichts, was sie nicht kann! Von uns beiden fängt sie die meisten Fische, weil sie sich darauf besser konzentriert und auch die Angel öfter kontrolliert. Sie erlegt und filetiert fachgerecht selbst. Am besten schmeckt mir dann ihr frischer Serbischer Fisch: eingerieben mit Knoblauch, in Mehl getaucht und dann ab in die Fritteuse. „Bratkartoffeln und einen Gurken­salat mit Kernöl dazu. Für mich danach eine Genusszigarette. Dann ist meine kleine Welt so richtig in Ordnung.“

Original erschienen 2017