Wenn der Vater mit dem Sohne ...

Trafikanten
25.06.2021

 
Josef und Manuel Lesjak betrieben den letzten Zeitungskiosk im U-Bahn-Bereich. Jetzt führen sie ein Tabakfachgeschäft. Eine Änderung, die viel Neues brachte ...

Schöner Ort ist er keiner, der Bereich Lassallestraße 4 im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Viel zu befahren und auch der alte Ruf des Stuwerviertels mit seiner nächtlichen Amüsiermeile haftet dieser Gegend noch an. Nicht zuletzt beweisen das auch die fast zur Gänze leerstehenden Geschäftslokale entlang der Durchzugsstraße Richtung Transdanubien und Seestadt Aspern. 

Doch kein Nachteil ohne Vorteil: Der markant hervortretende Rauchring samt Lotterielogo fällt in solch einer Umgebung besonders auf: „Glücklicherweise haben wir vor unserem Geschäft und gleich daneben eine gekennzeichnete Ladezone. Sie steht meist leer. Daher ist ein Halten vor der Trafik, drückt man beide Augen zu, kurz möglich“, erklärt Josef Lesjak. „Vor einem Jahr habe ich mich dazu entschlossen, diese Trafik zu übernehmen. Es war Liebe auf den ersten Blick, nachdem ich mir schon zuvor einige andere angesehen hatte. Auch der Übernahmepreis stimmte. Obwohl ich damals schon in Pension hätte gehen können, wollte ich es noch einmal wissen.“

Viele Promis

Trafikant Lesjak ist das, was man unter einem „alten Hasen“ versteht. 30 Jahre Trafikerfahrung liegen hinter ihm. Sein vorheriger Standort lag mitten auf dem Bahnsteig der U4 in Wien-Mitte/Landstraße. Es gibt kaum Wienerinnen und Wiener, denen sein Kiosk kein Begriff gewesen wäre. Unter den täglich 1.200 bis 1.400 Kundinnen und Kunden der Trafik befanden sich auch relativ viele Prominente.

Existenznöte

Erlebnisse hatte Josef Lesjak als Trafikant genug gehabt. Vor allem, wenn er sich an seine einstigen Vermieter, die Wiener Linien, erinnert, kommt er sichtlich ins Schnaufen: „Da habe ich gelernt, was Gesprächspsychologie ist. Die redeten mir zweimal, beim Bau der U3 und dann noch einmal vor dem großen Umbau des Bahnterminals, ein, dass es sich nur um eine kurze Bauzeit handeln werde. Was waren: 1983–84 und 2007–12. Gesagt haben sie mir, dass die Einschränkungen für mich nur vier Wochen dauern würden. De facto waren es dann 26 Wochen. In dieser Zeit gab es praktisch kaum Umsätze für mich. Aber ich musste die volle Höhe der Miete zahlen. Man kam uns nicht entgegen. Das hat mich finanziell fast ruiniert!“, versucht sich Josef Lesjak jetzt noch zu beherrschen. Denn aufregen darf er sich nicht mehr: „2005 hatte ich eine Bypassoperation am Herzen gehabt. Ich fiel für ein Jahr im Verkauf aus, stieg dann aber wieder voll ein. Bis 2013 waren wir dann überhaupt der letzte Kiosk in einer Wiener U-Bahn-Station. Die Friedensbrücke war damals schon geschlossen.“

Das alles ist nun Geschichte. Der Trafikant ist froh darüber, dass er heute eine Fixmiete zahlt und nicht mehr 2,5 Prozent von seinem Jahresumsatz: „Es gibt derzeit so viele Anpassungen, dass die Gewinnspannen immer geringer werden. Auch die Tabaksteuer steigt regelmäßig. Das bedeutet, dass von einem Jahr aufs nächste die Jahresumsätze höher werden, doch die Gewinne für den Trafikanten enorm zurückgehen können.“

Vater war KZ-Überlebender

Die beiden Lesjak-Töchter Linda und Sophie sind Lehrerinnen geworden. Sohn Manuel ist 30 Jahre alt und wird ab 1. Jänner 2016 das väterliche Geschäft übernehmen. „Ich freue mich sehr, dass er die Trafik weiterführen wird. Er ist dann schon in dritter Generation Trafikant. Mein Vater war seinerzeit Widerstandskämpfer und kam ins KZ. Nach Kriegsende wurde er Trafikant. Als er schließlich in Frühpension ging, war ich gerade arbeitslos und hatte noch kleine Kinder. Ich kannte den Betrieb von klein auf und stieg daher bei ihm ein.“ 

Junges Publikum

Manuel ist gerade dabei, die Trafik auf ein gut sortiertes Rauchwarengeschäft umzustellen. Seinen Schwerpunkt setzt er neben einem erweiterten Zigarettenmarken-Angebot auf die Fachberatung bei Zigarren, E-Zigaretten und Shisha-Liquids: „Die sind derzeit bei mir der Top-Renner. Es sind in den letzten Jahren um den Nordbahnhof viele neue Wohnungen entstanden, mit jungen Leuten, die extra zu uns kommen. Auch die Wirtschaftsuni liegt in unserer Nähe. Die neue Nachfrage entstand mit der Kundschaft.“
Bauprojekte verfolgen die Familie Lesjak auch hier: So kamen viele Stammkunden des gegenüberliegenden riesigen Bank-Austria-Komplexes vorübergehend abhanden. Er wird gerade erweitert, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden im Dezember großteils abgesiedelt. „Sie kommen aber wieder. Bis dahin reicht uns unsere Kundschaft aus der Wohnumgebung Stuwerviertel. Jetzt führen wir vom Platz her viel mehr Nebenprodukte als noch im kleinen Kiosk, das gleicht alles wieder aus“, zeigt Manuel Lesjak stolz die bereits von ihm ausgewählte Produktpalette. „Dazu zählen nicht nur Lotto, sondern auch ein reiches Sortiment an Gratulationsbilletts, Getränken und Zeitschriften.“

Loslassen können

Dass sich Vater und Sohn die Trafik vom Angebot her noch teilen, beweist das breite Zeitschriftenangebot, das von sehr gut sortierten Wissenschaftsmagazinen über die nach wie vor beliebten klassischen Frauenzeitschriften „Freizeitrevue“, „Neue Welt“ bis zu einer nach Buben- und Mädchenzeitschriften geordneten Kinderabteilung reicht. „Manche Kinder bekommen von ihren Eltern jeden Tag ein neues Heft“, ist Manuel Lesjak selbst erstaunt. Das Angebot wird er auch später weiterführen. „Lebendig wird es in der Trafik vor allem beim Doppeljackpot und dem Eurolotto. Da kaufen die Leute oft zehn bis 15 Scheine und nehmen daneben auch anderes mit.“ 

Noch hilft der Senior bei der Buchhaltung und zeitweise im Verkauf. Doch bald schon wird der Sohn auf eigenen Füßen stehen: „Man muss beizeiten loslassen können“, sagt Josef Lesjak. Allerdings klingt dabei ein weiterer Ton mit. So, als müsste er sich das bis Dezember selbst noch öfter vorsagen. „Wenn er mich aber braucht, bin ich für ihn da!“ – sagt er und widmet sich gleich darauf dem nächsten Kunden, während sein Junior wieder einen Zigarrenverkauf abwickelt.   

Erstmalig veröffentlicht im Mai 2015