Strukturproblem

Steht im Handel ein Blutbad bevor?

Konjunktur
26.08.2022

 
Lieferverzögerungen, Personalmangel und exorbitante Preissteigerungen bei Einkauf und Energie drücken immer mehr Handelsbetriebe mit dem Rücken an die Wand. Der Handelsverband hat alarmierendes Datenmaterial zusammengetragen.
Wenn jeder siebente Handelsbetrieb zusperrt sind die Kosten enorm.
Blutspritzer auf hellem Untergrund

Der Ukraine-Krieg und die pandemiebedingten Kapazitätseinschränkungen in Asien haben die Preise in ganz Europa in die Höhe getrieben. In Österreich hat die Inflationsrate im Juli mit +9,3% den höchsten Wert seit Februar 1975 erreicht. Diese Teuerungswelle stellt für alle Handelsformate und Warengruppen eine existenzielle Herausforderung dar. Wie es den heimischen Handelsbetrieben – vom KMU bis zum filialisierten Konzern – derzeit geht, hat der Handelsverband in einer Blitzumfrage analysiert.

Besorgniserregende Ergebnisse der Händlerbefragung

  • 14% aller österreichischen Handelsbetriebe (=5.880 Unternehmen) überlegen, ihre Geschäftstätigkeit bis Jahresende einzustellen.
  • 42% der österreichischen Händler werden im Gesamtjahr 2022 aufgrund des Kaufkraft-Verlustes der Bevölkerung voraussichtlich einen Verlust erwirtschaften, nur 23% erwarten heuer einen Gewinn.
  • Die heimischen KMU-Händler verzeichnen im 1. Halbjahr 2022 einen durchschnittlichen inflationsbereinigten Umsatzverlust von -16% im Vergleich zum ebenfalls umsatzschwachen 1. Halbjahr 2021.
  • Die Energiekosten der Händler liegen mittlerweile im Schnitt bei rund 21% des Umsatzes.
  • Die Stromkosten der Händler haben sich heuer im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt um +43% erhöht, die Gaskosten sind um durchschnittlich +44% gestiegen.
  • 79% aller Händler kämpfen zurzeit mit Lieferverzögerungen bzw. Lieferantenausfällen.
  • 70% erwarten in ihrem Segment Lieferengpässe im Weihnachtsgeschäft.
  • 43% der Händler haben zurzeit Personalmangel, bei 20% war/ist dadurch (oftmals) nur ein eingeschränkter Betrieb möglich.
  • Bei 44% aller Betriebe hat sich die Kapitalstruktur aufgrund der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs deutlich verschlechtert (= weniger Eigenkapital).
  • Als größte Herausforderungen nennen die österreichischen Händler die enormen Kostensteigerungen in der Beschaffung und Logistik, Beschaffungsengpässe und Lieferverzögerungen im Einkauf sowie die hohen Energiekosten.

Bis zu 6.000 Betriebe von Schließung bedroht

"Die Ergebnisse unserer Befragung machen einmal mehr deutlich, welche gravierenden Folgen die Teuerungswelle auf den österreichischen Handel hat. Unsere Händler kämpfen mit sinkenden Umsätzen auf der Konsumentenseite und anhaltenden Liquiditätsproblemen infolge der Corona-Pandemie, gleichzeitig müssen sie massive Kostensteigerungen bei Strom, Gas, Mieten, im Einkauf und in der Logistik stemmen. Jeder zweite Betrieb rutscht dadurch auch heuer in die Verlustzone", sagt Handelsverband-Geschäftsführer Rainer Will.

Das Fazit aus der Branche und der Ausblick auf 2023 stimmen besorgniserregend: "Die große Herausforderung kommt erst 2023. Da werden alle Energiepreiserhöhungen bei den Konsument:innen schlagend und die verfügbare Kaufkraft wird weiter sinken. 2022 ist trotz allem nur ein Vorgeschmack auf das, was 2023 durch die Indexanpassungen in den Verträgen noch kommen wird. Es besteht unmittelbarer Handlungsbedarf, ansonsten werden 14 Prozent aller österreichischen Händler, bis zu 6.000 Betriebe, ihre Geschäftstätigkeit bis Jahresende einstellen müssen", appelliert Will an die politischen Entscheidungsträger*innen, einen Flächenbrand zu verhindern.

"Es muss rasch eine ‚Reformagenda‘ auf den Weg gebracht werden, anstatt ausschließlich mit Einmalzahlungen zu arbeiten. Wir fordern ein durchgängige Abgaben- und Gebührenreform sowie eine Senkung der Lohnnebenkosten zur Entlastung der österreichischen Unternehmen. Eine Senkung der Mehrwertsteuer für Energie von 20% auf 10% sowie die Einführung eines Energiepreisdeckels für Betriebe müssen ebenso dringend umgesetzt werden, um die bevorstehende Kostenexplosion abzuwenden", so Handelssprecher Rainer Will abschließend.