Eine Institution sperrt zu

Trafikanten
25.06.2021

 
Mit 30. September 2016 schloss die Trafik Edl im 21. Bezirk für immer ihre Pforten. Nach 64 Jahren am gleichen Standort geht ein weiterer Grätzltreffpunkt verloren.
Am Abend des letzten Tages wird nur noch der Automat darauf hinweisen, dass hier einmal eine beliebte Trafik war.

Der Rauchring steht schon neben dem Geschäft, das Trafik-Schild wird gerade abmontiert – dabei ist es noch nicht einmal Mittag. „Am Ende dieses Tages soll nichts mehr darauf hinweisen, dass hier einmal eine Trafik war“, meint Heinz Edl trocken. Er kümmert sich um die Handwerker, begrüßt Kunden, hilft kurz mal im Geschäft aus – der letzte ist kein ruhiger Tag für die Edls: Ständig kommen Laufkunden und viele Stammkunden zu ihnen. Viele der Stammkunden kommen aber diesmal nicht, um etwas im Geschäft zu kaufen – im Gegenteil, der Gabentisch im Nebenraum füllt sich zusehends mit den mitgebrachten Blumen, kleinen Aufmerksamkeiten und sogar Tickets für Veranstaltungen. Es geht den Leuten sichtlich nahe, dass hier ein Geschäft zusperrt, das es für viele von ihnen „schon immer“ gegeben hat.

Nachkriegstrafik

Der Vater von Heinz Edl, ein gelernter Fleischer und Selcher, war kriegsversehrt zurückgekehrt und bekam 1952 eine Trafik zugesprochen. Wo sollte das Geschäft entstehen? Natürlich in der Amtsstraße in Floridsdorf, wo er schon geboren wurde, aufwuchs und noch immer lebte. Die Wahl fiel auf das ehemalige Gemeindegefängnis von Groß-Jedlersdorf, das vor der Eingemeindung in Wien genau an der Grenze zwischen den wohlhabenden Bauern und den Habenichtsen stand. Die Adresse Amtsstraße 53 sollte bald zum allgemeinen Treffpunkt vieler Groß-Jedlersdorfer werden. Oft war Herr Edl in den Nachkriegsjahren aber gar nicht im Geschäft, sondern schlachtete für die bäuerlichen Nachbarn, portionierte Fleisch und machte Würste.

Die Edltschickeria

1979 übernahm Sohn Heinz, ein gelernter Zuckerbäcker, die Trafik; immer noch im alten Gebäude mit seinem elf Quadratmeter kleinen Verkaufsraum. „So groß ist eine Gefängniszelle nun mal“, scherzt Herr Edl. Hat er denn nie daran gedacht, einen der Nebenräume dazuzunehmen? „Wenn wir Zwischenwände rausgenommen hätten, wäre uns wahrscheinlich das alte Haus auf den Kopf gefallen“, winkt Heinz Edl ab. „Einen Aufstieg habe ich irgendwie versäumt. Ich hätte ein Angebot für den Millenium Tower gehabt, aber weil die monatlichen Kosten unklar waren, habe ich mich nicht getraut. Das spätere Angebot für den neuen Zentralbahnhof habe ich abgelehnt – es war einfach zu teuer. Das hätte ich nur gemacht, wenn ich mir bis zur Pension noch etwas auf die Seite hätte legen können.“

Obwohl nach eigener Definition „ein kleiner Grätzltrafikant“, war und ist Heinz Edl immer perfekt vernetzt – man kennt ihn, und er kennt sie alle. Über Parteigrenzen hinweg hat Heinz Edl im Grätzl, im Bezirk und in der Stadt mit jedem reden können; auch wenn er als Gesprächspartner dafür berüchtigt war, zwar höflich, aber auch unnachgiebig und teils recht direkt zu sein. Qualitäten, die er als Stellvertreter der Wiener Landesgremialobleute Grete Frank und Peter Ruschka durchaus nutzte. Hat ihn denn der Job an der Spitze nie gereizt? „Ich hab’ immer gewusst, wo mein Platz ist. Ich bin der Polier, der Hackler – nicht der Frontmann.“ Eines bereut der Trafikant aus seiner Zeit im Gremium aber: „2005 hab ich mich drängen lassen, dem Peter Trinkl meine Stimme zu geben – das magerlt mich bis heute“. Nein, die beiden waren und wurden nie Freunde ...

Veränderungen

In den 38 Jahren, während derer Heinz Edl seine Trafik führte, ist viel passiert. Das Portfolio hat sich verändert, und viele Kunden sind aus diversen Gründen weggeblieben: „In meiner Zeit wurde vor dem Geschäft gezählte 18-mal aufgegraben. Mit der Verlegung der Strebersdorfer bzw. Gerasdorfer Straße im Jahr 2000 bin ich stärker in die Gasse gerückt – das alleine hat mich 30 Kunden pro Tag gekostet. Dass dann auch noch Firmen wie Elin zugesperrt haben, war auch nicht hilfreich. Es gab ja eine Zeit, in der wir viel Braunware verkauft haben. Damals hatten wir in einem der hinteren Räume einen Dunkelhumidor, und weil das nicht unterkellerte Haus so feucht ist, mussten wir kaum klimatisieren.“

Nun sperrt das kleine Fachgeschäft zu; einen Nachfolger wird es nicht geben. „Ich habe den Leuten ein besonderes Service geboten. Das kann man von einem anderen Trafikanten nicht erwarten und würde von den Kunden möglicherweise auch nicht so angenommen“, erklärt Heinz Edl, der zum selben Stichtag wie seine Frau in Pension geht. „Ich hätte ja schon im Februar 2016 gehen können, habe aber noch auf meine Frau gewartet. Jetzt genießen wir gemeinsam die Pension, werden unseren Sohn und den Enkel im Elsass besuchen und ein bisserl reisen.“

Beim Blick aus dem Wohnzimmerfenster werden die Edls trotzdem täglich ihr ehemaliges Geschäft sehen – sie wohnen in guter Familientradition genau vis-à-vis in der Amtsstraße. Was passiert nun mit Haus und Grund der ehemaligen Trafik, die seit 1952 im Eigentum der Familie steht? „Das werden wir sehen. Wenn jemand einen reellen Preis bezahlt, verkauf ich’s. Wenn nicht, steht das halt noch ein Zeiterl herum“, gibt sich Heinz Edl entspannt. 

Als zur Schließungszeit um 18.00 Uhr aber nochmals viele Freunde auftauchen, weil jeder der letzte Kunde sein möchte, wird auch der sonst so pragmatische Heinz Edl ein bisserl sentimental: „Ich war wirklich gerne Trafikant. Das ist ein wunderschöner Beruf, und wenn man den Kunden Service, Freundlichkeit und Fachwissen bietet, so bekommt man viel Gutes zurück. Meine Frau und ich sind von den vielen lieben Abschieden echt überwältigt. Aber irgendwann hat halt alles ein Ende.“

Erstmalig veröffentlicht im Oktober 2016