Zum Trafikanten berufen

Trafikanten
24.06.2021

 
Vor einem Jahr hat Emanuel Kustura seine Trafik nahe dem Praterstern im 2. Wiener Gemeindebezirk übernommen. Die Gegend ist ein sozialer Brennpunkt, doch Kustura hat damit kein Problem.
Die kleine Trafik in der Heinestraße ist das „zweite Berufsleben“ von Emanuel Kustura. Er ist im Grätzl wie in der Branche gleichermaßen angekommen.

"Ja, heute bin ich es wirklich selbst“, lacht Trafikant Emanuel Kustura, denn viele in der Umgebung verwechseln ihn mit seinem Bruder Robert, der auch oft in der Trafik anzutreffen ist. „Manche unserer KundInnen halten uns für Zwillinge, dabei bin ich um vier Jahre älter als er. Ich sage dann: Robert ist etwas größer, dafür bin ich etwas breiter.“ Mit Mitarbeiterin Sissi bilden sie seit letztem Jahr gemeinsam das neue Trafikanten-Team. Die Kollegin hat Emanuel Kustura noch von seiner Vorvorgängerin übernommen: „Da hat die Trafik noch ganz anders ausgesehen. Sie war mit rustikalen, alten Holztischen ausgestattet und ziemlich voll geräumt. Zum Verkaufstisch konnte man nur durch einen schmalen Gang zwischen Paketen und Geschenkartikelständern gelangen.“ Sein Vorgänger ließ schließlich die Trafik in der Heinestraße 37, im 2. Wiener Gemeindebezirk, umbauen und trennte in einen modernen Verkaufsraum und ein Extralager dahinter. „Ich ließ dann auch noch einige Laden und Glaskästen an der Wand dazubauen, da ich das Sortiment langsam erweiterte. Ich wollte zuerst einmal sehen, was am Standort hier wirklich gut geht und mich auf keine Experimente einlassen.“ Denn geplant hat er seine Trafik vom ersten Tag an ganz genau. 

Kaufmann

Sein Entschluss, um eine Trafik anzusuchen, reifte allerdings langsam. 2010 hatte man bei Emanuel Kustura eine chronische Erkrankung festgestellt, die er mittlerweile in den Griff bekommen hat. Trotzdem: Die Diagnose und der Weg zur Stabilisierung brauchten Zeit. Zeit, die er zur Weiterbildung nützte. Emanuel Kustura ließ sich umschulen: Vormittags saß er im Buchhaltungs- und Personalverrechnungskurs, abends lernte er für die Matura: „Ich war als Jugendlicher ein sehr vorlauter Schüler. Als ich dann auch noch meine Englischlehrerin anmotzte, setzte es mehrere Fünfer, und sie ließ mich durchfallen. Ich musste die Schule verlassen und machte eine Lehre.“ 

Die schloss er als EDV-Kaufmann, Techniker und Programmierer ab, arbeitete dann insgesamt 13 Jahre in der Gastronomie und entschied sich letztlich für den Beruf des Trafikanten: „In ‚Ottos Biergarten‘ und in der ‚Stiegl Ambulanz‘ hatte ich den Umgang mit KundInnen gelernt, der mir immer Spaß gemacht hat, auch als ich zuletzt in der SVA, der Selbständigenversicherung, als Techniker gearbeitet habe. Entscheidend für meinen Entschluss war zuletzt die Ehefrau meines besten Freundes, die Trafikantin ist. Sie hat mir das Wesen der Trafik nahegebracht. Worauf es ankommt, wie ich kalkulieren muss, welche Umsätze als Minimum sein müssen, um entspannt leben zu können. Das sollte man sich vorher immer sehr gut ansehen, auch meine ursprüngliche Ausbildung zum Kaufmann half mir enorm.“ 

Sonderwünsche

Für Emanuel Kustura war die Entscheidung de facto aus einem anderen Grund von Bedeutung: „Ich habe eine schwere chronische Krankheit. Mit meinem Ansuchen um den Behindertenausweis entschied ich mich offiziell, für immer aus dem normalen Arbeitsmarkt auszuscheiden. Künftig würde ich dort keinen Job mehr bekommen.“ Da er auch heute noch gesundheitsbedingt zwischendurch immer wieder ausfällt, freut er sich über die richtige Berufswahl und das gute Einverständnis mit Bruder Robert. Emanuel Kustura hat nicht zuletzt deshalb viel Verständnis für seine KundInnen mit besonderen Bedürfnissen. 

So lässt er sofort alles im Geschäft liegen und stehen und bringt einer Stammkundin zwei Packungen Chesterfield vor die Trafik. Sie stützt sich auf einen Rollator und kann sich nur mühsam fortbewegen. „Das ist doch klar, dass man da mithilft!“ Auch ein junger Labrador freut sich regelmäßig auf den Trafikbesuch seines Herrls. Aufgeregt zieht er diesen in eine Ecke des Geschäftsraums. ­Emanuel ­Kustura weiß, was Sache ist: Er öffnet eine Metallbox und reicht ein Leckerli. Still und sehnsuchtsvoll blickt der Rüde erneut zur Box. Da wird Trafikant ­Kustura noch einmal schwach, und es gibt eine kleine Zugabe. Das Herrl lacht, und der Hund ist zufrieden. Noch ein kurzer Small Talk, dann widmet sich Emanuel Kustura seiner nächsten Kundin. Von ihr verlangt er wegen der Jugendschutzbestimmung zusätzlich einen Ausweis. 

Jugendschutz

Die junge Frau ist darüber nicht erfreut, obwohl Herr Kustura sehr höflich ist: „Ich hatte auch einmal eine Kundin, die mit ihrer Mutter kam und Zigaretten verlangte. Nachdem ich sie gebeten hatte, mir ihren Ausweis zu zeigen, randalierte sie in meinem Geschäft. Das ist mir zuvor noch nie passiert! Ihre Mutter musste sie erst wieder beruhigen. Dann habe ich sie ersucht, die Trafik zu verlassen. Ich würde mir daher zur Wahrung der Jugendschutzbestimmung wünschen, dass die KundInnen von sich aus ihren Ausweis zeigen müssen. Vielleicht kann man das medial noch besser kommunizieren“, wünscht sich Trafikant Kustura. Auch bei Asylwerbenden gäbe es diesbezüglich eine rechtliche Unschärfe. Sie alle hätten Einheitsausweise mit dem Geburtsdatum 1. 1. 2000. Ist einer dennoch deutlich jünger, so dürfte er ihm eigentlich keine Zigaretten verkaufen. Für ihn seien aber alle Menschen gleich. Er mache keinen Unterschied zwischen Rang und Herkunft. Im gleichen Moment kommt eine Frau aus dem Westbalkan ins Geschäft und kauft Parkscheine. Ihre Tochter würde am nächsten Tag zu Besuch kommen. Sie kenne sich mit dem Ausfüllen nicht aus und fragt daher den Trafikanten, ob er ihr das erklären könnte. Herr Kustura nimmt sich dafür Zeit.

Familienmensch

Zeit, die er sich später privat auch fürs Musikmachen nimmt. Er spielt mehrere Instrumente und die schon seit seiner Kindheit. In der Schule hatte er später sogar klassischen Gitarreunterricht erhalten. Wirklich Zeit dafür hat er aber trotzdem nur wenig, da ihn mehr die Reiseleidenschaft mit seiner Lebensgefährtin Irene verbindet. Seine Schwiegermutter hat lange in Frankreich gearbeitet, weshalb er auch gerne dorthin fährt, genauso wie nach Cambridge, wo ein weiterer Bruder wohnt. Dort, wo seine Familie ist, fühlt sich Emanuel Kustura eben willkommen.

original veröffentlicht 2017