Neue Zeiten
Wien wurde für die gebürtige Ungarin Erika Peterschelka zur Heimat. Ihre Trafik im 22. Wiener Gemeindebezirk führt sie seit 30 Jahren. Vor Weihnachten übergibt sie an Tochter Martina.


Ganz einfach zu finden ist die Trafik am Rennbahnweg 40 im 22. Wiener Gemeindebezirk nicht, denn der Eingang liegt in einem von der Straßenkante zurückliegenden Wohnhaus. Doch das Trafikschild und eine Lottofahne an der Hauswand weisen dann deutlich den Zugang. Das Lokal ist groß, modern und freundlich. Es wurde mit viel Geschick und Geschmack eingerichtet. „Früher einmal gehörte dieser Teil zu einem Einkaufszentrum. Das wurde schon vor langer Zeit geschlossen. Nur die Trafik blieb übrig. Alles andere wurde zu Wohnungen umgebaut, daher auch diese ungewöhnliche Lage“, erzählt Inhaberin Erika Peterschelka.
Die Trafik wurde situationsbedingt innerhalb von zwei Jahren zweimal umgebaut und in ihre heutige Form gebracht, man hat ein Stück Gang integriert und die Eingangstür direkt zur Straße hin verlegt. Die Stammkundinnen und Stammkunden kennen die Trafik schon seit jeher, auch Frau Peterschelka. „Meine Tante und spätere Adoptivmutter Marianne Nowak betrieb die Trafik, als ich noch im Kaffeehaus nebenan gearbeitet habe. Ich kam frisch aus Ungarn und war glücklich, diesen Job zu haben. Dann sperrte das Café zu, und ich kam zu meiner Tante in die Trafik, was mittlerweile auch schon lange her ist.“
Vertrauen
Über 30 Jahre arbeitet Erika Peterschelka schon als Trafikantin. Mit Ende Dezember wird sie in Pension gehen. Die Übergabe hat sie schon geregelt, und diese erfolgt an ihre älteste Tochter Martina, die 31 Jahre alt ist. Auch sie unterstützt bereits seit vielen Jahren in der Trafik. „Mir fiel nach der Karenzzeit buchstäblich die Decke auf den Kopf. Ich fragte meine Mutter, ob sie nicht zusätzlich jemanden brauchen könnte. So ergab es sich, dass ich mich von geringfügig über Teilzeit zur Vollzeit emporarbeitete“, lacht sie. „Meine Tochter Sally ist jetzt zwölf Jahre und Abby drei Jahre alt.“
Dass Martina die große Stütze in der Trafik wurde, weiß Erika Peterschelka heute zu würdigen: „Auf meine Tochter konnte ich mich immer verlassen wie auch auf unsere dienstälteste Mitarbeiterin, Alena Winter, oder Mitarbeiterin Niki. Sonst habe ich viel Pech mit meinem Personal gehabt. Sie ließen sich in Versuchung führen und nahmen oft etwas aus der Kassa oder anderes mit.“ Erika Peterschelka stöhnt. „Ja, in einer Trafik zu arbeiten, ist eine Vertrauenssache, der manche nicht gewachsen sind. Genauso wie in einer Bank.“
Eine solche befindet sich gleich neben der Trafik. Aber auch da ging es schon zweimal bei Überfällen rund. „Beim letzten hörten Martina und ich plötzlich einen dumpfen Knall. Ich eilte hinaus und dachte zuerst, es sei jemand vor unserer Tür gestürzt. Doch dann sah ich, wie eine Frau in der Bank zu Boden gegangen ist. Einer der Räuber hatte sie angeschossen. Leider konnten die Täter nie gefasst werden.“
Corona-Clip
Der Schock sitzt den beiden Trafikantinnen noch heute in den Knochen. „Doch wir sind sicherheitstechnisch hier bestens gerüstet, weshalb kein Täter ungestraft davonkäme“, so die Trafikantin. Daher kam Martina während der ersten Corona-Zeit die Idee zu einem lustigen Clip: „Auch der Virus ist ein Killer. Deshalb tat ich so, als stünde er direkt vor der Kassa und warf „ihm“ eine Packung Zigaretten über die neu aufgestellte Plexiglaswand. Ich selbst ging dabei in Deckung. Neben dem Spaß wussten die Kundinnen und Kunden auch gleich, dass wir bereits so etwas angeschafft hatten und waren motivierter, bei uns vorbeizukommen.“ Aufgenommen wurde alles aus Sicht einer der Überwachungskameras. „Nachdem der Clip vielen gefiel, postete ich ihn schließlich bei mir auf Facebook. Dort ist er mittlerweile zu einem der Corona-Knüller geworden. Mit enorm vielen Zugriffen!
Feuer & Rauch
Lähmende Angst vor Corona versuchten die Trafikantinnen so weit wie möglich abzulegen. In ihrer Trafik gab es bisher keinen Fall mit dem Virus, obwohl Mama Erika vor Kurzem daran erkrankt war. „Es war wie verhext: Verwandte kamen aus Ungarn zu Besuch und trafen sich natürlich ebenso mit anderen. Sie wohnten bei mir im Haus, da ich viel Platz habe. Dort steckten sie mich damit an. Doch weil sie bei uns zu Gast waren, hatte ich mir extra Urlaub von der Trafik genommen. Welches Glück! So konnte ich keinen dort infizieren. Übrigens: meinen Mann auch nicht. Doch das alles ist jetzt schon viele Wochen her“, ist Erika Peterschelka über den glimpflichen Verlauf ihrer Erkrankung erleichtert.
Gar nicht erfreut ist sie hingegen, dass heuer die Tabakmesse „Feuer & Rauch“ in Salzburg verständlicherweise entfallen musste. Ist sie doch seit Jahrzehnten jährlicher Fixpunkt für die ganze Familie: „Wir freuen uns immer schon darauf, weil da alle beisammen sind und wir das gleich mit einem Familienurlaub verbinden. Mein Mann ist auch dabei, genauso wie meine jüngere Tochter Karin (27 Jahre), die Grafikerin ist, meine Schwiegersöhne und meine Enkelkinder.“
Reiseroute
Um Sally und Abby will sich Erika Peterschelka künftig in ihrer Pension besonders kümmern und um ihre drei Hunde. Natürlich wird sie auch Martina weiter zur Seite stehen, falls diese sie bräuchte. „Doch mit guten Ratschlägen und ständigem Vorbeikommen werde ich sie nicht belästigen“, verspricht sie ihrer lächelnden Tochter jetzt schon. „Wissen Sie, wenn man nicht ständig in der Trafik steht, ist man auch schnell nicht mehr mit dem System vertraut. Da wird’s für alle mühsam.“
Dafür wird Erika Peterschelka mehr Zeit zum Reisen bleiben. Sie und ihr Mann Wolfgang, mit dem sie schon 35 Jahre lang verheiratet ist, hätten nun endlich wieder Gelegenheit, nach Italien, Frankreich, Deutschland, Südtirol oder in die Schweiz zu fahren. Liebend gerne mit dem Motorrad. „Und wissen Sie, worauf ich mich jetzt schon am meisten freue: auf die beste Pizza weltweit in Tramin in Südtirol. Herrlich!“ So scheint die erste Reiseroute bereits fix geplant zu sein.
Erstmalig veröffentlicht 2020
