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Trafikanten
21.06.2021

 
Neue Situationen verlangen nach neuen Lösungen – auch in der Trafik von Stefan Binder im 4. Wiener Gemeindebezirk. Er hat sie vor zwölf Jahren von seiner Mutter übernommen. Während Corona kamen ihm neue Ideen.
Stefan Binder mit seinem neuen Trafik-Schild für das Gebäude, in dem sein Geschäft liegt – ein üblicher beleuchteter Rauchring käme nicht infrage. Aufhängen wird er das Schild aber richtig herum ...

Ds neue Trafikschild hat bereits einen Ehrenplatz – allerdings noch im Inneren des Geschäfts. Stefan Binder hebt es hoch und fährt liebevoll mit den Fingern über die leichte Erhöhung des Schriftzugs. „Ich hoffe, dass das Schild diesmal länger draußen hält als das vorige. Da war die Farbe schon nach wenigen Jahren matt. Schau ma halt mal!“ Stefan Binder lehnt das Querschild für die Außenfassade neben sich ans Zigarettenregal. Als er das Tabakgeschäft vor zwölf Jahren von seiner Mutter Monika Binder übernahm, war der Hinweis auf die Trafik von der Ecke Argentinierstraße aus in die Wohllebengasse 8 des 4. Wiener Gemeindebezirk gut sichtbar. Doch während der Corona-Zeit störte den Trafikanten schließlich so einiges an der Aufmachung seines Geschäfts, was er während der letzten Monate in Angriff nahm. „Das neue Schild war die erste Investition, andere sollen noch folgen“, erzählt er.

Enttäuschung

Denn knapp vor der Krise erhielt er den abschlägigen Bescheid der Monopolverwaltung, die von ihm bereits fertig ausverhandelte Wunschtrafik nicht übernehmen zu dürfen: „Das hat mich schon sehr getroffen, da ich mit dem Kollegen bereits in allem einig war. Doch da ich keine Behinderung habe, musste ich mein Angebot notgedrungen zurückziehen.“

Schwierig wurde es an dem Trafik-­Standort deshalb, weil die Belegschaft des nur wenige hundert Meter entfernten ORF-Funkhauses auf den Küniglberg übersiedelte. Da fallen naturgemäß sehr viele Kunden weg. Das spürt Stefan ­Binder finanziell deutlich. An nachfolgende neue Einnahmequellen glaubt er derzeit nicht. Angedacht ist nämlich, dass im denkmalgeschützten, historischen Gebäude aus den 1930er Jahren Wohnungen entstehen sollen. „Aber ich vermute, die künftigen Besitzer werden das wie viele andere Objekte in Wien mehr für Spekulation nutzen, als selbst darin zu wohnen. Wir erleben hier im klassisch teuren Botschaftsviertel viele solcher Fälle.“

Zuversicht

Trotzdem ist Stefan Binder zuversichtlich. Vor allem, da vor kurzer Zeit von den einst vier Trafiken im Umkreis von einem Kilometer nur noch zwei übrig geblieben sind. Die Kunden verteilen sich daher. Das ersetzt zwar den ORF nicht, pendelt sich aber langsam ein. So arbeitet er auch an Zukunftsszenarien: „Irgendwann möchte ich dann eben die Trafik umbauen lassen. Seinerzeit hatte meine Mutter einen Container der Fa. Pirker auf der Straße stehen, und wir verkauften von dort aus drei Tage lang.“

Apropos Umbau: „Als meine Mutter Monika noch die Trafik betreute, gab es im Nachbarlokal eine Baustelle. Eines Tages kam sie in die Trafik und staunte nicht schlecht: Alle Zigaretten und die Kassa waren gestohlen! Über Nacht hatten Diebe ein Riesenloch von der anderen Seite der Baustelle herüber gestemmt, und niemand in der Umgebung hatte den Lärm bemerkt! Nur ein Nachbar meinte, er habe geglaubt, im Lokal würden Schnitzel geklopft werden. Um 2.00 Uhr in der Nacht? Auf einer Baustelle? Nicht zu fassen“, ärgert er sich noch heute. „Da die Versicherung leider nicht alles bezahlte und einen extrem hohen Betrag für die damals frisch angekauften Jahres-Vignetten verweigerte, wollte meine Mutter verkaufen. Sie fand aber zwei Jahre lang niemanden, weshalb ich sie schließlich übernommen habe.“ 

Übernahme

Stefan Binder ist gelernter Bürokaufmann mit abgeschlossener Lehre. Seit er 18 Jahre alt war, arbeitete er als Angestellter in der Familientrafik. Seine Firma ging damals in Konkurs, und Monika Binder brauchte einen Mitarbeiter. Was lag also näher? „Ich bin in der Trafik aufgewachsen und kenne alles. Es hat mir auch immer Spaß gemacht.“

Als Kind konnte er sich noch an den Geruch der Selch der ehemaligen Fleischhauerei erinnern. Als seine Mutter übernahm, war das Geschäft zwar schon eine Trafik, aber sie erweiterte den Verkaufsraum und verlegte das Büro weiter nach hinten. Eben dort, wo die Selch war. „Mittlerweile riecht man natürlich nichts mehr“, grinst der Trafikant. 

Wertschätzung

Worüber er sich herzlich freut, sind seine Stammkundinnen und -kunden. „Da gibt es mitunter sehr, sehr alte Bekannte, mit denen ich aufgewachsen bin. Als kürzlich ein 99-Jähriger verstarb, war ich darüber richtig traurig. Eine Kundin wiederum freute sich vor vier Jahren so über die Geburt meiner Tochter, dass sie uns für Melinda einen Golddukaten und einen Pack Windeln schenkte. Wir waren total gerührt. Heute noch muss ich ihr regelmäßig Fotos der Kleinen zeigen.“ Stefan ­Binder lacht: „Ja, das ist eindeutig leichter, als so ein kleines Wesen in der Trotzphase wie derzeit live zu erleben.“ Er wischt sich augenzwinkernd mit der Rückhand über die Stirn. Dennoch ist sie sein Ein und ­Alles.

Lieblingsplätze

Den diesjährigen Sommer verlebte die junge Familie in Österreich: „Meine Frau stammt aus Oberösterreich, daher fahren wir immer gerne hin. Wir haben da unsere Lieblingsplätze im Salzkammergut wie den Attersee. Die Kleine liebt es natürlich zu planschen.“ Manchmal tut aber auch ein wenig Rückzug von der Familie gut. Nur für kurze Zeit, beispielsweise auf einer Radpartie mit Freunden. Sich einfach den Alltag von der Seele strampeln. So auch auf der Radstrecke Tulln–Krems.

Doch Stefan Binders schönste Reise bisher war jene durch Andalusien in Spanien. Wie er überhaupt dieses Land ganz besonders liebt. „Meine Frau und ich hatten vor der Geburt unserer Tochter ein Mietauto genommen und haben den Landstrich für uns erforscht. Ein Traum!“, schwärmt er heute noch. Auch der romantische Norden der Insel Mallorca hat es ihm angetan. Für Radfahrer sowieso ein Eldorado. „Aber das muss jetzt noch ein bisserl warten, bis Melinda größer ist.“ Dann wird Spanien von Familie Binder samt ihrem Nachwuchs sicher weiter erforscht werden.

Erstmalig veröffentlicht 2020