Wiens stärkster Trafikant

Trafikanten
25.06.2021

 
Georg Schober steht in einem der kleinsten Geschäfte und war einmal der jüngste Vertreter seiner Berufsgruppe in ganz Österreich.
Klein, aber mein: Acht Quadratmeter sind nicht viel – und trotzdem kommt es darauf an, was man draus macht. Georg Schober ist in seine Trafik so richtig „hineingewachsen“ und Trafikant mit Leib und Seele.

Mit nur 19 Jahren war Georg Schober einst der jüngste Trafikant Österreichs. Das war vor sechs Jahren. Jetzt ist er bereits ein echter Profi, wenn er im Handumdrehen fast gleichzeitig die Lottoscheine checkt und, ohne aufs Regal zu sehen, das richtige Päckchen Smart erwischt. Er reicht es einer Dame, die auf ihrer Einkaufstour jeden Vormittag bei ihm vorbeikommt.

„Ich habe viele Stammkunden, die täglich kommen. Sie plaudern und nehmen meist irgendetwas mit. Oft geht das schon um 6 Uhr in der Früh los, wenn die anderen Geschäfte noch geschlossen haben. Dann kaufen viele ihre Getränke bei mir. Obwohl es hier in meiner Trafik sehr eng ist, gehen mindestens zwei Kisten Red Bull in der Woche weg. Der Eisschrank ist ein kleiner Selbstbedienungsladen“, und zeigt auf den Minikühlschrank im Kundenbereich. Für mehr gibt es in der kleinen Trafik mit ihren acht Quadratmetern keinen Platz, auch wenn Georg Schober das gerne hätte: „Vor der Trafikübernahme war ich Oberkellner im Gourmetrestaurant Do&Co im Wiener Haashaus am Stephansplatz, doch dann ging es nicht mehr.“

Diagnose Knochenkrebs

Georg Schobers Schicksalsschlag: Diagnose Knochenkrebs als Teenager. „Ich merkte vorerst gar nichts, keine Symptome. Als ich beim Skisport über eine Schanze sprang, knackste es bereits in der Luft und der Unterschenkel war mehrfach gebrochen, das Bein zerfetzt.“ Es folgten komplizierte Operationen und eine Langzeittherapie über mehrere Jahre, in denen der Knochen immer wieder nachgab und brach. Doch Georg Schober war und ist ein Kämpfer. Zuerst im Spitzenleistungssport, wo er im Ringen bereits vier Jahre lang im österreichischen Team auf die Europameisterschaft vorbereitet worden war. Doch plötzlich – vorbei der Traum! „Das war das Härteste bisher in meinem Leben“, wird der Trafikant jetzt noch ernst. „Die lange Vorbereitung und die wirklich guten Aussichten für mich – und dann das Aus.“

Sportschwerpunkt

Doch Georg Schober ließ im Sport nicht locker: In der Disziplin Gewichtheben Kraftdreikampf wurde er 2014 Wiener Meister. Kein Wunder, denn sein Vater Georg sen. ist Vizeweltmeister in dieser Sportart und wurde zum Vorbild. „Wir Schobers halten sehr zusammen“, freut sich Georg jun. Das tun sie auch in seiner Trafik. „Im ersten Jahr bin ich von 6 Uhr in der Früh bis 18 Uhr abends alleine im Geschäft gestanden. Das ging aber dann irgendwann nicht mehr. Jetzt helfen am Nachmittag meine Schwester Nici, mein Schwager Peter, meine Mutter Inge und, wenn ich krank bin, meine Verlobte Lorena aus.“

Denn am Nachmittag betreibt Georg Schober weiterhin Spitzensport oder unterrichtet Frauen und Kinder in Selbstverteidigung. Kinder sind auch in der Trafik seine Lieblingsstammkunden, für die Trafikant Schober extra Champions-Lea-
gue-Karten und Pickerln führt. Und die müssen natürlich getauscht werden: „Sie kommen dann mit ihren Doppelten zu mir, ich hab selbst einige Packungen geöffnet und wechsle sie ihnen aus. Das macht mir und ihnen Freude, denn verdienen tue ich bei der Sache nichts.“ So wie an seinem wöchentlichen Ritual, wo Georg Schober einem Mann im Rollstuhl an der U-Bahn-Station ein Päckchen Zigaretten schenkt. 

Für die „Großen“ hat Schober alle Sportzeitungen aus Europa und Amerika im Programm und ist als Leistungssportler ein gefragter Tippgeber für Sportwetten: „Es sind vier bis fünf Damen und Herren, die immer wieder kommen und mich nach meiner Einschätzung fragen. Und sie gewinnen tatsächlich!“, lacht Schober. „Eigentlich sollte ich das für mich selbst nützen. Dann könnte ich meine Trafik schon früher renovieren.“

Gemeinsam gegen Kriminalität

Mit dem Supermarkt und dem Dessous-Geschäft Gazelle gegenüber seiner Trafik in der Währinger Straße 79 im 
18. Wiener Gemeindebezirk besteht seit einiger Zeit eine nicht ganz freiwillige Allianz der Geschäftsleute: „Innerhalb der letzten fünf Jahre hat es allein in meine Trafik drei Einbrüche gegeben, als ich auf Urlaub war. Mein ganzes Zigarettenlager war jeweils leer. Aber das wird es in Zukunft nicht mehr geben, da habe ich vorgesorgt.“ Mit den umliegenden Geschäftsleuten hat er sich abgesprochen. Alle behalten einander im Auge. Im Unsicherheitsfall käme man zur Unterstützung beim anderen vorbei. Als ausgebildeter Kampfsportler konnte er schon einmal in der Umgebung helfen. Das war aber die Ausnahme, denn sonst sei jetzt alles relaxed.

Selfman

Gelernt hat Georg Schober in der Zwischenzeit notgedrungen viel: „Als Teenager habe ich die Trafik übernommen und bis dahin keinen Hammer in der Hand gehalten. Dann bin ich auf dem vermorschten Bretterboden eingebrochen, und ein Regal mit Zigaretten ist mir auch entgegengepurzelt. Seitdem kenne ich mich handwerklich einigermaßen aus.“

Ohne Zusätze

Auf die vielen Studenten der Umgebung hat Georg Schober gleich bei der Übernahme der Trafik reagiert und führt ein breites Angebot an Naturzigaretten. „Bei mir wollen die Leute weniger den Naturtabak zum eigenen Wuzeln, sondern die fertigen Packungen mit Filtern.“ Wie auf ein Stichwort betritt eine junge Frau die Trafik und kauft eine solche Packung, lacht und freut sich, dass über ihren Trafikanten ein Porträt gemacht wird. 

Nach den Turbulenzen seines jungen Lebens ist Georg Schober in seiner kleinen Trafik glücklich. Wenn er sich aber noch etwas wünschen dürfte, wäre das eine Parkpickerländerung für Geschäftsinhaber: „Wir bekommen kein Parkpickerln, wenn wir nicht im gleichen Bezirk wohnen. Da ich im 21. Bezirk zu Hause bin, fahre ich mit der U-Bahn. Aber manchmal wäre es wichtig, das Auto vor dem Geschäft zu haben. Das geht derzeit leider nicht.“ Da Georg Schober bisher schon so viel erreicht hat, vielleicht schafft er auch noch das. 

Erstmalig veröffentlicht im April 2015